Frühjahrskonzert am 2. April 2006
Antonin Dvorak: Stabat Mater für Soli, Chor und
Orchester
Lautes Schreien, leises Klagen
Plochingen: Oratorienverein und Kammerorchester
führen Anton Dvoraks „Stabat Mater“ auf
„Das Gedicht soll den zuallererst den Schmerz
ausdrücken. „Stabat Mater dolorosa“ („Es stand die Mutter schmerzensvoll“)
thematisiert das Leiden der Gottesmutter Maria im Anblick des Gekreuzigten. Der
lateinische Text entstand wohl um das Jahr 1300 in Italien oder Frankreich. Die
in einem strengen Reimschema gedichteten 21 Strophen regten die Phantasie
zahlreicher Komponisten an. Vertonungen gibt es unter anderem von Orlando di
Lasso, Joseph Haydn oder Franz Schubert. Und eben auch von Anton Dvorak, der
eigentlich nicht als Kirchenmusiker bekannt ist.
Möglicherweise war die Komposition eine Reaktion auf den
Tod von Dvoraks Tochter Josefa, zwei Tage nach ihrer Geburt. 1880 wurde das Werk
in Prag uraufgeführt, am Tag vor Heiligabend. Der Plochinger Oratorienverein
brachte die geistliche Kantate zusammen mit dem Kammerorchester in der Osterzeit
auf die Bühne. „Stabat Mater“ war ein Publikumsmagnet. Die Plochinger Stadthalle
war fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Das knapp zweistündige Werk forderte
vom Chor viel Standfestigkeit. Nur einmal, kurz vor dem Ende, gönnten sich die
Sängerinnen und Sänger eine kleine Erholungspause im Sitzen. Ihre
Standfestigkeit bescherte der Aufführung ein hohes Maß an Ruhe, das Publikum
konnte sich ganz der magischen Ausstrahlung des Werkes hingeben.
Dirigent Bertram Schade kitzelte aus dem von Heidrun
Speck glänzend eingestellten Chor viele Feinheiten heraus. Gelegentliche
Tempiwechsel machten die Sängerinnen und Sänger genauso mühelos mit, wie die
dynamischen Änderungen. Lautes Schrein, leises Klagen – dieser Gegensatz wurde
bei der Aufführung regelmäßig deutlich. Besonders im vierten Teil, als Solobass
Reinhard Hagen laut und kraftvoll intoniert, dass sein „Herz vor Lieb“ entbrenne
und er „nur noch Jesu kenne“. Dazwischen hört man den Chor leise klagen: „Heil`ge
Mutter drück die Wunden, die dein Sohn am Kreuz empfunden, tief in meine Seele
ein.“ Es ist eine der wichtigsten Szenen des Werkes: Zuversicht und Freunde
trifft Niedergeschlagenheit und Trauer.
Dass diese Feinheiten so deutlich herausgearbeitet
wurden, war eine der Stärken des Konzerts. Unterstützt durch hochkarätige
Solisten, unter denen besonders Alexander Yudenkov (Tenor) und Katrin Koch (Alt)
hervorstachen, gelang dem Oratorienverein eine sehr ambitionierte Aufführung.
Auch das Kammerorchester machte eine gute Figur, harmonierte glänzend mit Chor
und Solisten und verschmolz mit ihnen zu einer Einheit.
Als Dvoraks Werk 1884 in der Royal Albert Hall in London
aufgeführt wurde, schwärmte der Komponist: „Im Konzert wurde ich gleich beim
Eintreten vom Publikum mit stürmischem Beifall empfangen. Von Nummer zu Nummer
wuchs die allgemeine Begeisterung und gegen Ende war der Applaus so groß, dass
ich dem Publikum immer wieder danken musste.“ Auch in Plochingen wollte der
Applaus für die Akteure nicht enden. Das Leiden im Werk war dem Jubel im
Publikum gewichen.“
Esslinger Zeitung, 4.April 2006 von Tobias Dorfer